Demenz, Sprache und Betreuung

Demenz, Sprache und Betreuung

Künftig werden in Österreich immer mehr Familien eine 24-Stunden Betreuung für Angehörige mit Demenz benötigen. Die Angebote versprechen viel, doch nur wenige BetreuerInnen sprechen ausreichend Deutsch. Verlorene Sprache trifft auf fehlende Sprachkompetenz- eine Reflexion.

So fing alles an – Demenz

Anfangs ist Frau B. (76) zu Arztterminen und Verabredungen mit Freunden nicht erschienen. Auch Saunarunden und Kartenspielnachmittage mit Freunden hat sie vergessen. Geldbörse und Tasche sind unauffindbar für sie. Dreimal in einem Monat kommt der Schlüsseldienst, um die Wohnungstür zu öffnen. Der Scham über ihre Unzulänglichkeit den Alltag alleine zu bewältigen, treibt sie unter dem Vorwand ihre Wohnung aufräumen zu müssen, weiter in die soziale Isolation. Anrufe und Besuche von Freunden werden spärlicher. Besuche der Familie am Wochenende sind zu wenig, denn ihre Sprache verändert sich. In Gesprächen fehlen ihr öfters die Worte.

Ein Kurzaufenthalt im Spital – die Lage wird prekär

Der Sommer ist sehr heiss. Frau B. vergisst auf Essen und Trinken und bricht aufgrund von Dehydrierung zusammen. Ein kurzen Spitalsaufenthalt folgt und nach Infusionen geht es ihr körperlich besser. Sie geht fragend von Zimmer zu Zimmer. Sie ist kein angenehmer, ruhiger Patient. Warum sie im Spital ist, weiß sie nicht. Das Kurzzeitgedächtnis lässt sie im Stich.

24-Stunden Betreuung – als Lösung

Ohne durchgehende Betreuung geht es nicht mehr, denn sie gefährdet sich selbst, wenn sie zu trinken vergisst. Die von ihrer Tochter vorgeschlagene Übersiedelung in Betreutes Wohnen ist für Frau B. nicht vorstellbar. Sie möchte in ihrer Wohnung bleiben. 24-Stunden Betreuung ist möglich, weil für eine Betreuung das erforderlich extra Zimmer in der Wohnung vorhanden ist. Die Angebote versprechen viel, und ein Preis – und Angebotsvergleich der Organisationen ist schwierig, Wichtig für die Familie sind Erfahrung mit Demenz und Deutschkenntnisse (wird mit täglichem Aufschlag verrechnet). Die Organisatoren geben zu, dass es an Personal mit Deutschkenntnissen mangelt, aber man sich bemühen werde, den Wunsch zu erfüllen.

Erfassen und verstehen der Situation – ein Erfolg

Die erste Betreuerin, eine Juristin, 50 Jahre alt, kommt aus der Slowakei. Sie spricht sehr gut Deutsch. Auch wenn Frau B. sich gegen Abend nicht gut ausdrücken kann – der Kopf ist müde und die Wörter wollen nicht so leicht gefunden werden – die Kommunikation zwischen den beiden klappt. Auch die folgenden drei Betreuerinnen können ausreichend Deutsch, um Kommunikation zu ermöglichen. Abends auftretende Panikattacken können gut mit der Betreuerin bewältigt werden.Sie versteht und erfasst die Situation, was den Menschen mit Demenz in diesem Moment so berührt oder bewegt. Was bringt ihn aus der Fassung? Hier helfen beruhigende und klare Worte in der Muttersprache Deutsch. Hymes, ein Sprachwissenschaftler, hat 1975 bereits über kommunikative Kompetenz festgehalten, dass diese sowohl Wissen als auch die Fähigkeit zum Sprachgebrauch umfasst: grammatisches Urteilsvermögen und Fähigkeit, Sprache im Kontext sozial angemessen zu produzieren und zu rezipieren.

Sprachkompetenz – Selbstbild und Fremdbild

Leider geht es nicht so weiter. Betreuerinnen wechseln, im letzten Monat waren es sechs. Abreise nach zwei Tagen, nach fünf Tagen, am selben Tag, denn verbale Kommunikation zwischen der Betreuerin und Frau B. findet kaum statt. Allen Beteiligten werden die Grenzen der Belastbarkeit aufgezeigt. Die Familie schult die Betreuungsperson ein, wobei mit Gesten und Deuten versucht wird, Informationen über Lebensgewohnheiten, Medikamenteneinnahme und Einkauf in der Umgebung zu vermitteln. Fehlende Sprachkompetenz in Deutsch ist Realität. Tablet und Mobiltelefon der Betreuerin werden nicht nur für Google Translator verwendet. Damit holt sie betreuungsfremde Personen mit guten Deutschkenntnissen per Videotelefonie zur Übersetzung virtuell in die Wohnung. Frau B. wird unsicher. Sie hört eine männliche Stimme, aber wo ist der Mann?

Aggression kommt ins Spiel

Die Betreuerin kann nur wenige Worte in Deutsch sprechen. Sie versteht nicht, was diese Dame mit Demenz ihr sagen will, was sie abends sucht, wovor sie Angst hat. Frau B. fühlt sich nicht verstanden. Um sich schlagend jagt sie die Betreuerin aus der Wohnung und ruft ihren Sohn an: „Komm bitte.“ Aggression als Ausdruck von Hilflosigkeit.

Ein Telefonat zeigt die kommunikative Kompetenz einer anderen Betreuerin. Nicht auszudenken, wie sie im Notfall dem Sanitäter der Rettung am Telefon um Hilfe bittet. Sie kann sich nicht verständlich machen, wer Schmerzen hat: der Hund, die Katze oder Frau B., die nicht zusammenhängende Worte jammert. Der Sohn fährt nachts zu Mutter und Betreuerin. Der Hund hatte kein Futter. Es fehlen die Worte. Verlorene Sprache trifft auf fehlende Sprachkompetenz bei professionellen BetreuerInnen.

Mögliche Lösungsansätze

Die in der Kindheit erlernte Sprache oder Muttersprache bleibt im Langzeitgedächtnis bei Menschen mit Demenz gespeichert. Die aktive Nutzung kann eingeschränkt sein, aber verstanden wird diese Sprache.

  • Die betreuende Person kann dem Menschen mit Demenz Sicherheit und Klarheit geben, wenn sie über kommunikative Kompetenz in dessen Muttersprache verfügt.
  • Diese Kompetenz sollte die vermittelnde Agentur vor Einsatz der BetreuerInnen prüfen. Ein Mehraufwand zur Qualitätssicherung ist wichtig. Die Familien bezahlen die Sprachleistung bereits extra.
  • Wenn eine Betreuungsperson ihre Sprachkenntnisse ab Stufe A2 verbessern möchte, sollte dies gefördert werden. Online Räume könnten Übungsplatz mit einem Native-Speaker sein, weil sie zeit-und ortsunabhängig Sprachübungen ermöglichen.
  • Die Website https://validation-lahner.com/ zu Demenz und Validation in deutscher und tschechischer Sprache, sowie angebotene Fortbildungen in Tschechien sind ein Schritt zu mehr Verständnis in der Betreuung.

Nachsatz: Nachdem vor Weihnachten die Agentur gewechselt wurde, die Familie – neben der Berufstätigkeit – für zehn Tage die 24 h selbst übernommen hatte, ist im Moment die Situation etwas entspannt. Die neue Agentur ist sehr bemüht und engagiert, passendes Pflegepersonal zu vermitteln.

Foto in diesem Beitrag: eigenes /2017

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