Vom richtigen Zeitpunkt

Vom richtigen Zeitpunkt

Alles zu seiner Zeit

Nur so dahergesagt? Ein Satz, den ich von meiner Urgroßmutter hörte, als ich als kleines Kind Schnitten wollte, – möglichst viele und sofort. Bitte. Vierzig Jahre war meine Sicht ganz nach diesem Motto – gleich und schnell.

Und wenn etwas nicht so passiert, dann arbeitete ich so lange dran bis es verwirklicht war. Manche Stolpersteine waren so groß, dass sie sich nicht in Luft auflösten. So musste ich erkennen, dass mit Bemühen und systematischen Nachlernen der Grammatik ich zwar bei meinem Dolmetschstudium meine Eignungsprüfung in Englisch schaffte. An Deutsch bin ich gescheitert, auch kommissionell. Es war die Vision vorhanden – das Ziel gesetzt, doch nicht erreicht. Vielleicht war es das falsche Ziel. Vielleicht war die Zeit nicht die Richtige.

Ubud – Ausblick von meiner Terrasse (Bild- Quelle: eigene- 09/2018)

Ein Ziel vor Augen

Auf einer fast fünfmonatigen Reise durch Asien saß ich in Ubud, Bali, in meiner Unterkunft auf der Terrasse. Ein wunderschöner Platz. Fast eineinhalb Monate waren wir nun schon unterwegs durch Thailand, Kambodscha und Singapur. Es war Zeit nachzudenken, wohin ich in zehn Tagen weiterreisen wollte. Hongkong bot sich an, eine Großstadt, die für mich von Wien immer unerreichbar weit weg schien, jedoch mir sehr reizvoll vorkam. Von Bali schien die Distanz nicht zu groß. Auf verschiedenen Plattformen hatte ich schon Zimmer im Zentrum Hongkongs gesehen, die erschwinglich schienen. Für mich als Alleinreisende mit Anspruch auf Dusche/WC im sauberen Zimmer. 120 EUR für vier Nächte. Wichtig, es schien nicht sechs Quadratmeter groß zu sein wie viele angebotene Unterkünfte um diesen Preis. Fast zwölf Quadratmeter – purer Luxus. Passt perfekt.

Unterbrechungen mit Folgen

Ein Gast auf meiner Terrasse (Bild Quelle: eigene – 09/2018)

Immer, wenn ich im Begriff war auf den Button „Zur Bezahlung“ zu klicken, wurde ich unterbrochen. Einmal holte mich mein gebuchter Fahrer Buthu für eine Tour viel zu früh ab, dann störte eine Riesenspinne mein Vorhaben. Die täglichen e-mails der Buchungsplattform, mit dem Hinweis „Hongkong wartet auf dich…“ mahnten zur Aktion. Etwas unruhig war ich schon, denn ich wollte wissen, wo ich die nächsten Tage verbringen würde. Etwas vorab über die Stadt, das Land lesen, wohin ich reise. Wissen, welche Sehenswürdigkeiten ich besuchen könnte. Am folgenden Tag öffnete ich die Seite mit dem Hotel, suchte, ob es nicht etwas Schöneres, Besseres gäbe und wurde wieder unterbrochen. Der Preis des Fluges hatte sich seit letzter Woche auch nicht verändert. Am Abend lag ich im Bett, mein Partner drängte mich, doch endlich zu buchen. In diesem Moment entschied ich mich gleich nach Vietnam zu fliegen.

Große Erleichterung

Die Entscheidung war gefallen, meine Erleichterung in diesem Moment unbeschreiblich groß. Hanoi sollte es sein, fünf Nächte dort alleine zu verbringen, konnte ich mir vorstellen. Der Flug Bali – Kuala Lumpur – Hanoi war sofort gefunden, das Hotel nahe dem Hoàn Kiếm See war in fünfzehn Minuten gebucht. Vielleicht fragt sich jemand, warum in der Nähe dieses Sees. Ein Foto und die Beschreibung auf einer Plattform für Reisetipps gab hier den Ausschlag. Es schien mir ein schöner Platz zum Spazierengehen, Bäume am Ufer haben einen Kühlungseffekt, das Zentrum war auch nicht weit entfernt. War auch tatsächlich ein für mich perfekter Platz, um die Stadt und ihre Menschen näher kennenzulernen.

Hoàn Kiếm – See in Hanoi
(Bild Quelle: eigene 09/2018-Vietnam)

Die richtige Zeit

Als ich in Hanoi zehn Tage später im 18. September ankam, sah ich im Internet Bilder des Typhons Mankhut, der gerade über Hongkong mit aller Vehemenz hinwegfegte. Das Bewusstsein, dass mich diese zögernde Bauchentscheidung vor fünf Tagen Sturm bewahrt hatte, war ein Gutes. Ich kann nicht beschreiben, warum diese Entscheidung so abgelaufen war. Eine Folge davon war, dass ich begann, spontane Entscheidungen zu treffen. Manchmal für meine Umgebung nicht ganz nachvollziehbar, aber für mich hilfreich. So sollte ich im Lauf des nächsten Jahres doch noch nach Hongkong kommen.

Der dreistöckige Schildkrötentempel (Tháp Rùa) in der Mitte des Sees
(Bild-Quelle:eigene 09/2018 – Vietnam)

Planen, planen, planen

Hongkong blieb auf der Liste meiner Wunschreiseziele ganz oben. Als ich vier Monate nach meiner Rückkehr aus Asien überlegte, wohin meine nächste Reise gehen sollte, brütete ich Tage über Reiserouten: per Zug durch Spanien, Island erschien mir zu teuer, Schottland zu eintönig alleine dorthinzufahren. Mein Partner beobachtete das Ganze in gelassener Ruhe auf einer Metaebene. Ich sollte mich doch mal entscheiden, es würde schon richtig sein. Ich sollte doch meine Zeit nützen. Mein Planungswahn war wieder da. Ein Rückfall in meine alte Gewohnheit, das Planen von Teilzielen gibt mir Sicherheit. Ein paar Tage später hatte ich meine Route durch Spanien zusammengestellt, der Preis war bei EUR 1.600,–. Die Hotels waren extrem teuer, Feiertage und Wochenenden lagen in der geplanten Reisezeit.

Schon wieder so ein Gefühl

Frustriert rief ich die Website einer großen österreichischen Fluglinie auf. „Hongkong“ stand dort in großen Lettern als Angebot. Die Hotels waren um vieles günstiger als Spanien. Die Gelegenheit fast sechzehn Tage nach Asien zu fliegen, bekomme ich so schnell nicht mehr, war meine Überlegung. Auf einer anderen Website mit der Möglichkeit Multi-Stop-Over Routen zu buchen, fand ich das Passende: über München nach Hongkong und retour via Bangkok nach Wien. Es war Montag, 14. Mai 2019.

Ungeplant spontan

Zwei Tage später saß ich abends um neun Uhr am Flughafen in München und war am Weg nach Hongkong. Eine Reise, bei der ich alleine im Mai 2019 unterwegs war. Täglich beim Frühstück entschied ich mich für ein Tagesziel. Wenn noch Zeit übrig war, suchte ich mir für diesen Tag das Nächste. Ich nahm an einem Stadtrundgang, geführt von einer Studentin aus Hongkong, teil, die ihre Stadt als vielschichtig und interessant uns näher brachte. Spontan ergaben sich tolle Ausflüge in die Umgebung Hongkongs, Spaziergänge in der Altstadt, in Sham Shui Po, dem Zentrum zahlreicher Händler und Märkte für Elektronik, ebenso faszinierende Shops für Näh- und Bastelutensilien in allen Formen und Farben. Das Viertel mit der Straße der Blumenhändler und der Bird Garden Yuen Po Street, unzählige Fahrten mit der Hong Kong Tramway (Ding Ding), eine Fahrt im Observation Wheel am Abend, Disneyland, und vieles mehr. Manches konnte ich mir nicht ansehen. Gut so, ein Grund wieder hinzufahren. Die Reise in fünf Worten: wundervoll – fantastisch – individuell und spontan.

Der für mich richtige Moment diese Stadt zu besuchen.
(Bild-Quelle: eigene 05/2019 – Hongkong)

In diesem Sinn: Alles zu seiner Zeit. Nach meiner Rückkehr nach Wien änderte sich in Hongkong die Situation sehr plötzlich. Unruhen begannen.

Nachsatz – Veränderung

Was ist der richtige Zeitpunkt ? Diese Frage habe ich mir seitdem öfter gestellt. Ich versuche nun öfter Entscheidungen spontan zu treffen.

  • Mein Planungswahn hat sich damit auch sehr reduziert. Zum Beispiel bei Städtereisen nicht viel im Voraus zu planen. Mich treiben zu lassen und im Moment die Entscheidung zu treffen, ob ich rechts oder links gehe, oder geradeaus.
  • Fühlen, was für mich passt. In diesem Moment und dieser Situation, wie das Wetter ist, welche Personen gerade des Weges kommen. Vielleicht sehe ich nicht das, was auf der Liste der empfohlenen Sehenswürdigkeiten steht. Aber ich lerne kleine Lokale im 2. Stock eines unscheinbaren Hauses kennen. Oder die enge Gasse, die auch von Mopeds befahren wird, führt zu Wohnhäusern, die mich die reale Wohnsituation näher erfahren lassen.
  • Mir hilft es auch ein Gefühl bekommen, ob meine getroffenen Entscheidungen passend waren. Vielleicht ist dann in wichtigen Situationen auch auf dieses Gefühl Verlass.

Ich lerne Entscheidungen spontan zu treffen – rechts?
(Bild-Quelle: eigene – 09/2018)
…oder vielleicht doch links abbiegen… oder geradeaus gehen?
(Bild-Quelle: eigene 09/2018)

„Life is about not knowing, having to change, taking the moment and making the best of it, without knowing what is going to happen next.“

Gilda Radner / Quelle: aufgerufen am 31.3.2020 11.19 Uhr unter https://www.myzitate.de/gilda-radner/

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